Briefe in die chinesische Vergangenheit. Roman.

by Herbert Rosendorfer | Literature & Fiction |
ISBN: 3423105410 Global Overview for this book
Registered by wingNestiwing of Bielefeld, Nordrhein-Westfalen Germany on 1/14/2006
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Journal Entry 1 by wingNestiwing from Bielefeld, Nordrhein-Westfalen Germany on Saturday, January 14, 2006
(anderes Cover)


Ein chinesischer Mandarin aus dem 10. Jahr-
hundert gelangt mittels Zeitmaschine in das
heutige München und sieht sich mit dem
völlig anderen Leben der »Ba Yan« und ihren
kulturellen und technischen Errungenschaften
konfrontiert. Die grotesken Erlebnisse und
witzigen Kommentare des der deutschen
Sprache und modernen Lebensweise zunächst
unkundigen Chinesen ergeben eine vergnüg-
liche Lektüre, »das komischste Min-chen-Buch
des Jahres«, wie Rolf Seeliger in der >tz<
schrieb.


Das Buch
Ein Mandarin aus dem China des 10. Jahrhunderts versetzt sich
mit Hilfe eines Zeitreisekompasses in die heutige Zeit. Er über-
springt nicht nur tausend Jahre, sondern landet auch in einem
völlig anderen Kulturkreis: in einer modernen Großstadt, deren
Name in seinen Ohren wie Min-chen klingt und die in Ba Yan
liegt. Verwirrt und wißbegierig stürzt sich Kao-tai in ein Aben-
teuer, von dem er nicht weiß, wie es ausgehen wird. In Briefen an
seinen Freund im Reich der Mitte schildert er seine Erlebnisse und
Eindrücke, erzählt vom seltsamen Leben der »Großnasen«, von
ihren kulturellen und technischen Errungenschaften und versucht
Beobachtungen und Vorgänge zu interpretieren, die ihm selbst
zunächst unverständlich sind. »Die insgesamt 37 >Briefe in die
chinesische Vergangenheit< sind komisch und satirisch, witzig und
hintersinnig, fundiert, was die tatsächliche chinesische Vergan-
genheit ebenso wie unsere Gegenwart betrifft«, schrieb Michael
Becker in den >Nürnberger Nachrichtens »Mit unverbrauchter
Frische fabuliert Rosendorfer, spürt über eine phantastische Kon-
struktion ganz handfesten Zuständen nach. Das geht nicht ins
Blaue, trifft dafür aber häufig ins Schwarze. Herbert Rosendorfers
Einfallsreichtum ist erstaunlich.«


Der Autor
Herbert Rosendorfer, geboren am 19. Februar 1934 in Bozen, lebt
seit 1939 in München, wo er zunächst an der Akademie der
Bildenden Künste und später Jura studierte. Er war Gerichtsasses-
sor in Bayreuth, dann Staatsanwalt und ist seit 1967 Richter in
München. Einige Werke: >Der Ruinenbaumeister< (1969), deut-
sche Suite< (1972), >Stephanie und das vorige Leben< (1977), >Das
Messingherz< (1979), >Ballmanns Leidem (1981), >Vier Jahreszei-
ten im Yrwental< (1986), Romane; >Der stillgelegte Mensch<
(1970), >Ball bei Thod< (1980), >Das Zwergenschloß< (1982),
Erzählungen; >Vorstadt-Miniaturen< (1982).


______________________________________________________
Ausriss: Kann denn bei diesem System, fragte ich, ein vernünftiger Kandidat bis zum Amt des Ober-Mandarins durchdringen? In Ausnahmefällen ja, sagte Herr Shi-shmi, aber in der Regel bringt dieses System - das sie (übersetze ich:) Volksherrschaft nennen - mit sich, daß nur Kandidaten erfolgreich sind, die zwei Voraussetzungen mitbringen: sie müssen von ihrer eigenen Bedeutung überzeugt sein und sie dürfen keinen eindeutigen Standpunkt haben. Denn ohne das eine, sagte Herr Shi-shmi, ohne die Überzeugung von der eigenen Bedeutung und Wichtigkeit hält es kein Mensch aus, so andauernd vom Wert seiner Person zu schreien, und ohne das andere, das Fehlen des Standpunktes, eckt er notgedrungen bei der Mehrheit an.

Ausrissende.

Mit zwei ganzen und einer siebenachtel Verbeugung
verneige ich mich voller Hochachtung vor dem Meister.

Habe das Buch günstigst erstanden und es wird jetzt in die rauhe Bielefelder Gegenwart ausgesetzt.

Journal Entry 2 by Polemos from Berlin (irgendwo/somewhere), Berlin Germany on Sunday, January 22, 2006
Es wurde dann eher die sanfte Ruhrgebietskulisse ...

Eingesteckt, weggeschnappt & auf den TBR

Journal Entry 3 by Polemos from Berlin (irgendwo/somewhere), Berlin Germany on Saturday, February 18, 2006
Die Zukunft ist ein Abgrund. Betrüblicherweise ist die Zukunft, von der Kao-tai spricht, meine Gegenwart bzw. Vergangenheit. Was Rosendorfer 1986 mittels des Mandarins schreibt, trifft heute um so mehr zu; der fremde Blick, auf das, was uns allzu "normal" scheint, führt zu gewissen unangenehmen Verzerrungen ...
Zum Thema "Fortschritt": Die Großnasen sind ständig damit befaßt, Veränderungen vorzunehmen. Sie nennen es [...] Fort-Schreiten. So ist es nur folgerichtig, daß bei ihnen einer, der sich zum Zwecke der Betrachtung, der Kontemplation, der Selbstvervollkommnung vom öffentlichen Leben zurückzieht, als Versager, als Verlierer gilt. [...] Ich würde sagen: sie verdienen nichta anderes als den Untergang ihrer Welt ...
Das gilt auch im Jahre 2006, wenn nicht noch verstärkt. Man nennt das nonchalant "Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten, uns geht es doch immer besser!"; wer es Fortschrittswahn (und damit beim wahren Namen!) nennt, ist nicht nur Spielverderber, sondern Defätist, ja er will sogar das Glück und den Wohlstand für alle verhindern. Denn die Westlehre besagt, daß durch Reichtum Glück entsteht. Sie besagt, daß jeder verpflichtet ist, so glücklich zu sein wie möglich. Etwas anderes als Glück durch Fortschritt/Wohlstand/Prosperität ist nicht mehr denkbar. "Alte Werte" zählen nichts, Menschen zählen nicht - Hauptsache, die Kasse stimmt.

Oder, eng damit verknüpft, zur "Zeit": Es ist ein altes Gesetz, daß unterteilte Dinge kleiner sind als das Ganze. Das ungeteilte Ganze ist größer als die Summe der Teile. Zumindest gilt das, habe ich hier gelernt, in hohem Maße von der Zeit. Geteilte Zeit vergeht rasch. Die Großnasen haben ihre Zeit erbarmungslos zerhackt, und die Zeit rächt sich damit, daß sie entflieht, so schnell sie kann.
Hat sich das eigentlich schon mal jemand klar gemacht? Wir sagen stets: Das Ganze ist die Summe der Teile. Aber im Gegeteil, Kao-tai hat recht: Durch die Teilung verlieren wir das Ganze, wir sind die Jäger der verlorenen Zeit. Nicht im metaphorischen, sondern im einfachsten Wortsinn. "Ich habe keine Zeit" ist vermutlich der meistgebrauchte Satz, öfter gesagt als: Schön, dass Du da bist, ich HABE Zeit.

Und die Psychologie ... Aber diese Wissenschaft ist typisch für die Großnasen. Statt die Zusammenhänge zwischen Himmel und Erde zu beachten und sich danach zu richten, was erforderlich ist, horchen sie in ihre jämmerlichen Seelen hinein und versuchen zun ergründen, welche Würmer sich darin krümmen.

Leider sehr treffend über die "Demokratie": Warum haben sie Angst vor der Würde? Weil Würde notwendigerweise dem Einzelnen - dem Edlen, dem Weisen, dem Richter - zukommt, und das gönnen sie dem Einzelnen nicht. Lieber verzichten sie überhaupt auf Würde. So regiert hier die Mißgunst der Niedrigen, und das nennen sie "Herrschaft des Volkes".
Das erinnert mich stark an unsere "deutsche Kultur". Wer nicht in ""die Kassen" einzahlt, ist Sozialschmarotzer; wer mehr verdient, ist ein Ausbeuter. Niemand bekommt das, was er verdeint ... etc. pp. Der eine hat mehr Geld, der andere ein größeres Auto, ein dritter fährt weiter in Urlaub, ein vierter hat ein besseres Standing. Nur wenn einer selbst zu denen gehört, die Geld/Auto/Urlaub/Standing haben, wird auf einmal - Zauber der Macht - alles relativ - und der Rest schielt neidisch nach oben und tritt nach unten. Sit venia verbo: Es ist zum kotzen.

Die Betrachtung über Arbeit & Arbeiter tut schon fast weh. Da sehen also diese Leute nichts als den Ruß und Schmutz den ganzen Tag, abends fahren sie im Gewühl mit ihren A-tao-Wägen zwischen anderen A-tao-Wägen, dann verkriechen sie sich in ihren Häusern aus gegossenem Stein, in denen sie ihre großnäsischen Frauen erwarten, trinken Rindsmilch oder Hal-bal ... kann man sich ein freudloseres Leben denken?
Nein! möchte man ihm antworten, ja schreien. Aufstehen, zur Arbeit fahren, arbeiten (und immer an den Kunden, den Umsatz denken), nach Hause fahren, vor die Glotze hängen, zu spät ins Bett ... Und weiter dreht sich das Rad. Fortschritt, Zeit und Arbeit sind die Mühlsteine, die wir uns freudig um Hals hängen - und die uns zu Boden drücken. Mein Haus, mein Auto, mein Garten ... Meine Gedanken, meine Ideen, meine Zeit spielen keine Rolle. Wie auch?! Denn das Problem sind die anderen, die, die skeptisch fragen, ob das alles sein kann? Das "System" ist halt so, nachdenken, nachfragen, inne halten ist unerwünscht und kontraproduktiv; wer "aussteigt", ist automatisch ein - s. o. - Versager.

Nein, das ist nicht das komischste Min-chen-Buch des Jahres, Seeliger muss ehedem ein anderes gelesen haben als ich. Zugegeben: Schmunzeln konnte ich an einigen Stellen, die Namen sind oft amüsant (ich weiß noch immer nicht, ob Shi-shmi für Schmidt steht, und wie Yülen-tzu nun heißen mag), die Situationen (Kleine Frau Chung als fliegende Servier-Zofe trifft Fr. Pao-leng und die Eifersucht mit Tränenmeer tritt auf den Plan) sind dank des fremden Blicks bisweilen komisch. Besonders gut gefallen mir die freundlichen Begrüßungen, die mindestens 50 Wörter umfassen müssen, sowie die wechselnden Bezeichnungen bzw. Ehrerweisungen für Kung-fu-tzu (vulgo: Konfuzius), den Erhabenen vom Aprikosenhügel. Diesen werde ich demnächst einmal zuführen, ich sehe einige Übereinstimmungen mit der mir näheren römische Stoa, und habe "fernöstliche" Philosophie bisher schmählich vernachlässigt.

Also nicht das komischste, doch mit Abstand das nachdenklichste Buch dieses - noch frühen - Jahres.

Zu noch unbekanntem Zwecke reserviert.

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