Mit einem nüchternen Blick für die tragische Komik des Lebens bewegt sich der Wahlkreuzberger Lehmann durch den Alltag. Jahrelange, ausgefucste Ausweichmanöver und heroische Trägheit haben ihn bisher erfolgreich vor den Ansprüchen von Eltern, Vermietern und Frauen verschont. Doch kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag - im Jahr des Mauerfalls - bricht eine unvorhergesehene Störung nach der anderen in seinen geliebten Alltagstrott.

beim Meet up freigelassen

Vom Meetup mitgenommen.

Herr Lehmann ist eine nostalgische Reminiszenz an die 80er Jahre, als die Welt noch schön sauber in Ost und West aufgeteilt und Berlin in der Szene die Insel der Seligen war. Wer etwas auf sich hielt, der zog dorthin, am besten nach Kreuzberg und am allerbesten nach SO36, und wer das nicht konnte, der hatte zumindest Bekannte dort, die für das Wochenende als Stützpunkt herhalten mussten. Der Kiez zwischen Mauer und Landwehrkanal war Kult, man hatte sich eingerichtet in seinem Alternativbiotop, die ganze eingemauerte Stadt war immer noch viel zu groß und drüben am anderen Kanalufer, in 61, fing eigentlich schon das Ausland an. Das alles war mit dem Fall der Mauer schlagartig vorbei und es sollte nie wieder so werden wie früher.

Herr Lehmann selbst ist der Szene-Kreuzberger par excellence: Aus Westdeutschland eingewandert, nach gesellschaftlichen Kriterien ein Versager, schlägt er sich glücklich mit Kneipenjobs durch und nährt nach Kräften seine liebenswerten Marotten und Vorurteile. Er ist eine seltsame Mischung aus romantischem Träumer und desillusioniertem Pessimisten, der wohl ahnt, dass er seinen Lebensstil nicht ewig wird beibehalten können, aber das kümmert ihn nicht. Doch am Tag, als er 30 wird, hat ihn gerade seine Freundin verlassen, sein bester Freund wird mit ungewisser Prognose ins Urbankrankenhaus aufgenommen - und die Mauer fällt. Mit einem Schlag ist alles anders und nur das Eine ist sicher: dass alles ungewiss ist. Ende offen, Vorhang, Schluss.

Für die quälenden, endlosschleifenartigen Einblicke in Herrn Lehmanns Gehirnstromaktivität gibt's Punktabzug, aber trotzdem ein gutes Buch, das man öfter lesen kann.

Herr Lehmann sah mißtrauisch seinen Vater an. Der hatte wieder dieses feine Lächeln drauf. Er ist rätselhaft, dachte Herr Lehmann, wahrscheinlich unterschätze ich ihn dauernd, und dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.

Gute Reise!