Miroloi
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Im Schönen Dorf haben Männer das Sagen, dürfen Frauen nicht lesen, lasten Tradition und heilige Gesetze auf allem. Was passiert an einem solchen Ort, wenn sich eine Außenseiterin gegen alle Regeln stellt?
Ein Dorf, eine Insel, eine ganze Welt. Karen Köhlers erster Roman katapultiert uns direkt hinein in das Leben einer jungen Frau, die sich auflehnt: Gegen die Strukturen ihrer Gesellschaft und für die Freiheit. Die bewegende Geschichte einer Welt, nicht weit von hier.
Karen Köhler mutet fast philosophisch an. Sie wirft viele Fragen auf, beantwortet sie nicht direkt und lässt Raum für eigene Gedanken. Die Szenerie wirkt künstlich und teiweise gewollt, wie z.B. das Wort Khorabel für das heilige Buch - eine Wortschöpfung aus Koran, Thora und Bibel. Dieser Aspekt hat mir nicht so gefallen.
Auf der anderen Seite bietet die Konstruktion eine vielfache Vergleichsmöglichkeit mit mehreren Gesellschaftskulturen. Ich fand Übereinstimmungen mit arabischen Dorfstrukturen, europäischen Mittelaltersiedlungen oder afrikanischen Landkulturen. Trotz der abgeschnittenen Entwicklungsgeschichte des Schönen Dorfes, die rückständisch dargestellt wird, sind durchaus Parallelen zur Moderne erkennbar.
Im Grunde, habe ich das Gefühl, muss man sich auf dieses Buch einlassen, Gegebenheiten akzeptieren und dadurch den Gedanken freien Lauf lassen.
Released 4 yrs ago (10/26/2019 UTC) at Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern Germany
CONTROLLED RELEASE NOTES:
Edit 09.12.: Hmm, wie vermutlich viele Leser, bin ich bei dem Buch zweigespalten. Einerseits fand ich die Sprache des Buches toll und konnte mich gut in die Hauptfigur einfühlen, andererseits - wie Charly schon schrieb - wirkt die ganze Szenerie ziemlich gewollt. Auf mich wirkt das Ganze weniger wie eine Parabel auf unsere Gesellschaftsgeschichte. Eher geht es hier um eine sektiererische Gesellschaft mit einer extremen Abschottung.
Dennoch war das Buch spannend und flüssig zu lesen.
Released 4 yrs ago (12/10/2019 UTC) at -- Per Post geschickt/ Persönlich weitergegeben --, Sachsen Germany
CONTROLLED RELEASE NOTES:
edit 4.1.20:
sehr spannend - bin mitten im Sog des Buches (die Diskussion darüber habe ich nicht mitbekommen - die werde ich nochmal nachlesen.
Außer der 'Khorabel' kam mir kaum etwas zu gewollt vor. Die Insel, das Dorf sind natürlich Mikrokosmen, die hier genau seziert werden. Mich erinnert es an den "Herr der Fliegen" oder "Animal Farm". Eine kleine Gesellschaft, die aus den Fugen gerät. Auch die Frage, was eine einzelne Person bewirken kann, ist interessant. Das offene Ende lässt mir, als Optimistin, ein bisschen Offenheit (oder ein winziges bisschen Hoffnung --- der Titel und der Einband geben das nicht her, ich weiß, aber ich bin mit Starwars sozialisiert, ich glaube also, dass alles möglich ist ;-))
Ich bin gespannt...
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Das "schöne Dorf" empfand ich keineswegs als Beispiel für eine primitive, naturnahe Gemeinschaft. Schon zu Beginn ist die Idylle von den Machtansprüchen eines verschwindend kleinen Teils der Bevölkerung, der das Leben aller bestimmt und auch vor Mord nicht zurückschreckt (der Beamte, der von Veränderungen spricht, wird kaltblütig beseitigt) unterwandert. Die Bevölkerung wird erfolgreich mit Festen und Ritualen, die ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen bei der Stange gehalten. Allein Außenseitern wie Alina und einigen anderen ist es vorbehalten, die Abgründe hinter der "gottgewollten" Ordnung zu sehen. Das Ende sehe ich auch vorsichtig optimistisch, was das Überlebe Alinas und ihres Ungeborenen betrifft. Ob sie allerdings anderswo auf eine weniger menschenverachtende Ordnung treffen kann, bleibt dahingestellt.
Der plot ist nicht soo rasend origenell, solche Geschichten gibt es ja viele. Was "Miroloi" für mich besonders macht, ist die Sprache und der Erzählstil, die der Geschichte einen Sog verleihen und der Handlung durchaus gerecht werden. (im Gegensatz zu anderen der Buchpreis-Kandidaten, die ich bisher gelesen have...)
Konstruiert Wirkendes wie das Wort "Khorabel" sehe ich eher als Mahnung, daß Geschichten wie diese jederzeit und überall passieren können - und auch passieren. Eine bedrückend pessimistische Botschaft...
Released 4 yrs ago (2/15/2020 UTC) at -- Per Post geschickt/ Persönlich weitergegeben --, Bayern Germany
CONTROLLED RELEASE NOTES:
Ich lebte in den 1980er Jahren etwa 6 Monate im Winter auf Kreta und habe dort unter anderem bei der Olivenernte mitgearbeitet. Vieles, was die Autorin beschriebt, erinnert mich an meine Zeit in diesem kleinen Dort und auch später dann in der Stadt. Ich finde es nicht so weit hergeholt. Natürlich kam es nicht zu solch extremen Gewaltausbrüchen, aber der subtile Druck war immer da. Ich selbst, als junge Frau von auswärts, war in gewisser Weise geächtet.
Und dann erinnert mich die Geschichte noch an „Dogville“, den meisterhaften Film von Lars von Trier.
Was also bleibt als Botschaft: Dass Gesellschaften durchaus dazu neigen, Konformität zu fordern und Menschen einzuteilen. Eine der hier entscheidenden Kategorien ist das Geschlecht. Wer sich dann nicht an die Regeln hält, kann böse bestraft werden.
Man (Mann!) wirft der Autorin ja vor, dass das Thema nicht mehr aktuell ist. Und natürlich besteht eine gesellschaftliche Tendenz zu Individualisierung. Aber es gibt eben auch das Gegenteil. Problemlos kann man das in den ausgezeichneten Analysen von Andreas Reckwitz nachlesen. Es gibt Menschen, die Unbehagen in der Moderne empfinden. Sie sehnen sich nach klaren Strukturen und Kategorien ala Trump. Schnell ist dann auch wieder die Idee einer Kultur im Raum, in der Frauen unterdrückt werden und Gesetze vor allem um der Gesetze willen bestehen.
Vielleicht ist das Buch nicht die gelungenste Umsetzung dieses Themas. Aber alleine schon die Tatsache, wie und in welchem Duktus Protagonisten des Literaturbetriebs hier ihre vermeintliche Deutungshoheit ausspielen (ala „niemand traut sich zu sagen, dass das ein schlechtes Buch ist“) zeigt, wie nahe an der Wahrheit die Autorin ist.
Denn wer bestimmt, was Literatur ist? Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal schreiben würde: Aber scheinbar ist es der „alte weiße Mann“? Und so hat mich das Buch und die damit einhergehende Debatte dann doch einiges gelehrt.
Die zunächst noch namenlose Ich-Erzählerin lebt auf einer Insel in einem Dorf, in dem patriarchalische, archaische Gesetze gelten, gottgegebene Gesetze. Als Findelkind ist sie eine Außenseiterin, dem Misstrauen, der Wut und sogar dem Hass der Dorfbevölkerung ausgesetzt. Nur ihr Ziehvater, der als Bethaus-Vater eine Autorität im Dorf ist, hält seine schützende Hand über die Sechzehnjährige wie auch Mariah, eine ältere Frau. Doch die Aggressionen gegen sie nehmen immer weiter zu, aber statt sich wie die anderen Frauen im Dorf zu fügen, beginnt sie eigene Gedanken zu entwickeln, die sich gegen die herrschende Meinung richten.
Eines steht ohne Zweifel fest: Karen Köhler, die Autorin, hat für diese junge Frau in einer frühzeitlichen Dorfgemeinschaft eine grandiose Sprache gefunden. Zu Beginn sind ihre Sätze schlicht und mit einfachen Worten, aber parallel zu ihrer fortschreitenden Entwicklung wird auch ihre Sprache zunehmend komplexer. Da es eine sehr ursprüngliche Gesellschaft ist in der sie lebt, ist Vieles um sie herum kein Objekt das betrachtet wird, sondern besitzt in all seinen Ausprägungen eine Persönlichkeit, was sich in ihren Wortschöpfungen und ihrem Stil ausdrückt: "Je mehr ich die Neugier füttere, desto weniger ist sie satt." Oder "Trauer ist ein Biest, das dich jederzeit anfallen kann. Mal würgt es dich und raubt dir den Atem, mal reißt es dir die Gedärme raus, mal tropft es still durch deine Augen, mal liegt es bergschwer auf dir, saugt dir jedes Gefühl aus dem Leib und drückt dich zu Boden, dass du denkst, du kommst nie wieder vom Fleck."
Leider erreicht das Niveau der Handlung bei weitem nicht das der Sprache. Zwar stellt die Autorin sehr gut verständlich klar, wie diktatorische Systeme funktionieren und dass das Einzige, was dagegen hilft, Bildung und Zusammenhalt ist. Doch die Geschichte ist vorhersehbar und schlicht unoriginell. Überraschungen gibt es praktisch keine, der Verlauf entspricht im Großen und Ganzen dem, was man nach ca. einem Fünftel des Buches bereits zu ahnen beginnt. So wird das Lesen zäh, denn auch die schönste Sprache hilft nicht über eine eher reizlose Handlung hinweg. Schade drum.
Zuguterletzt: Eigentlich eine schöne Idee des Hanser Verlages, den Seitenschnitt mit einer Art Klappe zu versehen, auf die der Titel nochmals gedruckt ist. Optisch macht das was her, doch während des Lesens empfand ich es als ziemlich störend; irgendwie war mir diese Papierklappe ständig im Weg.
Released 4 yrs ago (3/7/2020 UTC) at Buchring, By Mail/Post/Courier -- Controlled Releases
CONTROLLED RELEASE NOTES:
edit 22.03.2020: Das Buch hat mich einen Lesesamstag lang gut von der Corona-Unruhe abgelenkt. Es liest sich leicht und flüssig - ja, vielleicht auch ZU leicht, sodass am Ende zu wenig hängenbleibt - , die Sprache ist originell - ja vielleicht auch ZU sehr gewollt manchmal, bissel gekünstelt - , der Plot ist einfach, "GUT" und "BÖSE" sind klar verteilt. Ich kann verstehen, dass viel Rezensenten es eher in die Kategorie "Jugendbuch" einordnen würden, aber ich habe schon immer mal gerne ein Jugendbuch zwischendurch gelesen. Was mir sehr gefallen hat, ist die Gliederung des Romanes in Strophen, das Rhythmische darin, dem bin ich gerne gefolgt. Und dann war da diese menschliche friedliche Protagonistin, die zuerst sehr naiv wirkt und dann hinterfragt und denkt und wächst und erkennt, ja, das ist schon wirklich eine "Coming-of-Age"-Geschichte, die gut unterhält und mit ihren Fragen an der Oberfläche bleibt. An diesem Samstag tat mir das supergut.
Bemerkenswert an diesem Buch ist die Umschlaggestaltung. Erst war ich etwas irritiert, dann kam die Erkenntnis: Es gibt keinen Schutzumschlag, der Buchrücken setzt sich im weiteren fort, indem der Titel als Teil mit Klappentext - quasi ein Teilstück Schutzumschlag - am hinteren Buchdeckel befestigt ist und über den Buchschnitt gelegt wird. Interessante Lösung!
Edita ergänzt am 8. April 2020
Tja, was soll ich dazu schreiben? Ich bin dann doch bestärkt in meiner Meinung: Seit Jahren fällt das Niveau des Deutschen Buchpreises. So viele schwache Bücher ... auch dieses Buch hat mich an die Art des Psychotherapeuten von Hector erinnert, der seine Leser:innen für beschränkt hält. Ist es das Ende des Romans, dass man ihn nicht der Jugendliteratur zuordnen wollte? Ich kann diesem Buch nichts abgewinnen. ... die Klappe hat mich nicht gestört, da sie beim Lesen hinten im Buch eingeklappt war. Mich hat eher das Cover aus Pappmaterial gestört - es sieht so schnell abgegriffen aus, was übrigens beim großen Garten auch der Fall war - und verhindert ein wirklich schönes haptisches Gefühl.
Ich bin auch wie natur_m schwer am Überlegen, ob ich in diesem Jahr noch einmal mit lesen werde. Es sind seit Jahren einfach zu viele Enttäuschungen dabei gewesen.
Released 4 yrs ago (4/9/2020 UTC) at ABO-Runde - Nächste:r Teilnehmer:in in -- Per Post geschickt/ Persönlich weitergegeben --, Berlin Germany
WILD RELEASE NOTES:
In einem guten Buche stehen mehr Wahrheiten, als sein Verfasser hineinzuschreiben meinte. Marie von Ebner-Eschenbach [Q]
Gute Reise!
Vielen Dank!
Nun bin ich mal gespannt.
Preisverdächtig finde ich es nicht.
Gute Reise zur nächsten Leserin!
Es wird sich hinten anstellen müssen, da es hier an seiner letzten Station vor der Heimreise ist.
Im Urlaub hatte ich Zeit und Muse mich dem Buch zu widmen.
Es hat mir im Gegensatz zu einigen meiner Vorleserinnen sehr gut gefallen.
Einerseits wegen der Sprache, die auch die Entwicklung der Protagonistin, aber auch das Konstrukt der archaischen Gesellschaft, in der sie gefangen ist, widerspiegelt. Andererseit aber auch wie mit kurzen Schlaglichtern eine unerträgliches Szenarium des ewig Gestrigen und der Brutalität, mit der das "Anderssein" als bedrohlich ausgegrenzt wird, entsteht.
Nicht der beste aber ein guter Beitrag ...
Released 3 yrs ago (12/22/2020 UTC) at Bücherregal Schweriner Höfe in Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern Germany
WILD RELEASE NOTES: